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Medienberichte 

GEWINN 03/2021 Wie es nach der Stundung weitergeht

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Wie es nach der Stundung weitergeht

Ob für die Stundungsphase nun hinterher Zinsen verlangt werden dürfen, ist im Moment umstritten

Ende Jänner ist das gesetzliche Kreditmoratorium ausgelaufen, seit Februar müssen Kreditraten wieder bedient werden. Doch wegen einer unklaren Gesetzesbestimmung ist Streit zwischen Banken und Verbraucherschützern entbrannt.

VON SUSANNE KOWATSCH

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Ende Jänner waren in Österreich Kredite in einem Ausmaß von fast 14 Milliarden Euro gestundet, 7,558 Milliarden Euro aufgrund frei- williger Stundungen, 6,238 Milliarden dagegen aufgrund des gesetzlichen Moratoriums. Die gesetzlichen Stundungen waren allerdings zahlreicher – 75.409 gesetzliche standen 18.956 freiwilligen Stundungen gegenüber, so die Zahlen der OeNB. Schließlich konnten von den gesetzlichen Stundungen aus- schließlich Private profitieren sowie Kleinstunternehmen mit weniger als zehn Beschäftigten sowie einer Bilanz- summe von maximal zwei Millionen Euro. Genau diese gesetzlichen Stun- dungen sind seit Februar Geschichte – die Schonfrist ist vorbei, Verbraucher und Kleinstunternehmer müssen ihre Raten wieder abzahlen.

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Spätestens im Februar gab es bei vielen von ihnen allerdings ein unangenehmes Erwachen: Wieso ist die Rate nun höher als zuvor? War nicht bloß eine Verschiebung der Ratenzahlungen nach hinten ausgemacht – oder durften in der Phase der Stundung weiterhin Zinsen angelastet werden?

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Genau diese Frage ist im Moment äußerst umstritten. Klarheit wird es wohl erst geben, wenn höchstgerichtlich über die bereits vom Verein für Konsumenteninformation eingebrachten Verbandsklagen entschieden sein wird.

„Wir rechnen noch im Frühjahr mit einem erstinstanzlichen Urteil“, erklärt Beate Gelbmann, Leiterin der Abteilung Klagen des VKI. Sollte dagegen Berufung erhoben werden, was wahrscheinlich ist, wird die endgültige Klärung allerdings noch weitaus länger dauern.

Ob am Ende die Konsumenten auch Zinsen für die Stundungsphase ab April 2020 zu bezahlen haben, ist derzeit auch für erfahrene Juristen ei- nigermaßen offen. „Aufgrund des auslegungsbedürftigen Gesetzestextes ist schwer vorherzusagen, wie die Gerichte entscheiden werden“, meint Roman Taudes, Rechtsanwalt bei Aigner Lehner Zuschin Rechtsanwälte. Ihm fallen sowohl einige Argumente im Sinne der Kreditnehmer als auch solche im Sinne der Banken ein. „Allerdings haben viele Banken ohnehin frühzeitig ihre Kreditkunden kontaktiert und individuelle Stundungsvereinbarungen getroffen“, weiß Taudes. In diesen Vereinbarungen ist üblicherweise klipp und klar geregelt, ob während der Stundung weiter Zinsen anfallen.

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Zinsstopp, weiterhin Zinsen oder Verzugszinsen?

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„Dass die Verzinsung während der Stundungsphase unterschiedlich gesehen wird, ist nicht verwunderlich, weil der Gesetzgeber sich nicht wirklich um Klarheit bemüht hat. De facto hat er die Bestimmungen des Artikels 240 des deutschen EGBGB abgeschrieben

   

„Wir rechnen im Frühjahr mit einem erstinstanzlichen Urteil“, erklärt Beate Gelbmann, Leiterin der Abteilung Klagen des VKI

und auch die Begründung dazu“, so Rechtsanwalt Wolfgang Gartner, Partner der Kanzlei Gartner-Zwickl.

Und während Konsumentenschützer auf einen kompletten Zinsstopp hoffen und Banken öfters davon aus- gehen, dass die Sollzinsen während der Stundung weitergelaufen sind, zeigt Gartner noch eine andere Deutungsmöglichkeit auf: „In Österreich wird zwischen einer Stundung und einer ‚reinen‘ Stundung unterschieden. Die Stundung hat den Eintritt der Fälligkeit als Voraussetzung und es fallen Ver- zugszinsen an. Die reine Stundung da- gegen schiebt die Geltendmachung des Anspruchs hinaus, dieser ist aber noch nicht fällig, es fallen keine Verzugszinsen an.“ Er geht im konkreten Fall davon aus, dass der Gesetzgeber eine Stun- dung, bei der die Fälligkeit eingetreten ist, im Sinn gehabt hat. „Schließlich steht im 2. Covid-19-JuBG (§3) ja, dass die Geltendmachung von Verzugszin- sen auf vier Prozent beschränkt ist. Das würde ja keinen Sinn machen, wenn die Raten nicht fällig würden.“ Zusammen mit verschiedenen Außerkrafttretens-Zeitpunkten für die einzelnen Regelungen kommt Gartner auf insgesamt drei Phasen. Die Stundungsphase, in der die Sollzinsen nicht fällig würden, die Verzugsphase I, in der die Sollzinsen fällig würden, und für den Fall, dass nicht gezahlt werde, Ver- zugszinsen bis maximal vier Prozent ab 1.12.2021 verrechnet werden dürften, und die Verzugsphase II, in welcher ab 1.7.2021 die ursprünglich vereinbarten Verzugszinsen bezahlt werden müssten.

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Die Vorgeschichte

 

Ein Blick zurück. Eingeführt wurde die gesetzliche Stundungsmöglichkeit durch das 2. Covid-19-Justiz-Begleitgesetz im Frühjahr 2020 in den Wirren des ersten Corona-Lockdowns. Zuerst bloß für April bis Ende Juni 2020, später wurde die Stundungsmöglich- keit bis 31. Oktober 2020 ausgeweitet, und schlussendlich bis 31. Jänner 2021.

Voraussetzung für ein Anrecht auf die gesetzliche Stundung war, dass der Verbraucher aufgrund der Covid-19- Pandemie hervorgerufene Einkommensausfälle hat, die die Erbringung der geschuldeten Leistung – der Kreditraten – unzumutbar machten. Kleinunternehmen mussten analog dazu so beeinträchtigt sein, dass die Leistungserbringung ohne Gefährdung der wirtschaftlichen Grundlagen des Betriebs nicht möglich war. Gestundet wurden Tilgungen, Zinsen, Spesen bzw. Pauschalraten.

Wurde keine individuelle Vereinbarung getroffen, sah das Gesetz vor, dass bei Stundung die Kreditlaufzeit einfach nach hinten um den Stundungszeitraum verlängert wird – wer also den gesamten möglichen Stundungszeitraum von April 2020 bis Jänner 2021 ausgenützt hat, für den hat sich nun die Laufzeit automatisch um zehn Monate weiter nach hinten verlängert.

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Auch wenn Sollzinsen weiter vorgeschrieben werden durften „konnte bei Bedarf von der gesetzlichen Mindestregelung abgewichen werden“, so Bank-Austria- Vorstand Mauro Maschio

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Welche Banken haben Zinsen verrechnet?

 

Welche Banken haben ihren Kunden denn überhaupt Zinsen in der Stundungsphase verrechnet? Auch der VKI hat im Moment noch keinen lückenlosen Überblick. GEWINN hat deshalb direkt Banken angeschrieben und nachgefragt.

Die Antworten fielen tatsächlich unterschiedlich aus. „Nein, wir haben keine Sollzinsen angerechnet“, gibt Georg Haushofer, Leiter Marketing und Prokurist der Hypo Oberöster- reich, klipp und klar Auskunft. Die nun wieder fällig werdenden Raten haben sich laut Haushofer daher auch nicht erhöht, die gestundeten Raten wurden einfach an die Laufzeit angehängt.

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Ähnlich kundenfreundlich hat die Volksbank Wien die Regelung ausgelegt: „Während der Stundungsphase wurde der Abschluss ausgesetzt und es erfolgten keine Kapitalisierung der Zinsen und sonstigen Abschlussposten und damit verbundene Berechnungen von Zinseszinsen“, so die Antwort an GEWINN. Die Kunden seien mittels Kontoauszugsdruck informiert wor- den, dass sich die Fälligkeit der gestun- deten Raten um den beantragten Stundungszeitraum verschiebt. Weiters seien sie informiert worden, dass alle restlichen Bestandteile des Kreditvertrages unverändert bestehen bleiben. Die Erste Bank antwortete GEWINN in aller Kürze: „Die Sollzinsen wurden den Konten nicht angelastet, sondern wie die Raten gestundet.” Womit zumindest zu vermuten ist, dass sie die Sollzinsen auch hinterher nicht verrechnet.

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Die Mehrzahl der Banken scheint die Gesetzesregelung jedoch anders interpretiert zu haben: „Der Zinsen- lauf der ursprünglich vereinbarten Sollzinsen wurde in der Stundungsphase nicht ausgesetzt, jedoch wurden während der Stundung auch die Kreditzinsen nicht fällig, da sie als Kreditzahlungen gelten und dadurch mitgestundet wurden“, schildert etwa Martin Hauer, Vorstand Retail und Verbundservices der Raiffeisenlandesbank Niederösterreich Wien. Verzugs- zinsen wurden während der Stundung freilich nicht verrechnet.

Ähnlich sieht es die BAWAG P.S.K. – es sei vom Gesetzgeber kein Verzin- sungsverbot normiert worden, und das sei den Kunden auch klar kommuni- ziert worden. Auch bei der Oberbank wurden die Sollzinsen kumuliert und werden den Kreditnehmern über die restliche Laufzeit verteilt verrechnet, so die Auskunft.

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Mauro Maschio, Vorstand Privatkundenbank der UniCredit Bank Austria, versichert schließlich: „Die gesetzliche Regelung sieht die Berechnung von Sollzinsen auch in der Stundungsphase vor. Dennoch haben wir mit je- dem einzelnen Kunden die individuelle Situation besprochen und den spezifischen Bedarf bei Abweichung von der gesetzlichen Mindestregelung ermittelt.“ Ziel sei, die Kunden in ihrem konkreten Bedarf zu unterstützen.

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Was tun?

 

Welchen Rat kann man nun betroffenen Kreditnehmern geben? – Sämtliche befragten Juristen sind sich einig: Zahlen sollte man die vorgeschriebenen Raten unbedingt, um nicht in Verzug mit allen unangenehmen Folgen zu kommen – aber mit Vorbehalt! „Da derzeit nicht klar ist, ob die Banken die Sollzinsen für die Zeit der Stundung verlangen können, ist Verbrauchern zu empfehlen, der Bank gegenüber vorab und nachweislich zu erklären, dass die höhere Rate nur unter Vor- behalt der rechtlichen Klärung und Rückforderung geleistet wird“, führt Gelbmann aus.

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Zahlungsschwierigkeiten: Schnell melden

 

Wie viele Verbraucher bzw. Kleinstunternehmer im Moment Schwierigkeiten haben, ihre Ratenzahlungen wie- der aufzunehmen, darüber existieren im Moment noch keine Zahlen. „Eine Prognose dazu ist schwierig, da dies stark vom weiteren Verlauf und von der Dauer der Krise und damit der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung abhängt“, so Maschio. Im Großen und Ganzen wirken die Banken aber einigermaßen optimistisch, dass nicht all- zu viele Kunden ins Trudeln kommen.

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„Wir glauben derzeit nicht, dass sich die übliche Quote an Ausfällen signifi- kant erhöhen wird“, so die Oberbank. Und Haushofer von der Hypo Öster- reich erklärt: „Der Großteil der Kunden hat sogar schon seit November 2020 vereinbarungsgemäß die Tilgung wie- der aufgenommen.“

Sämtliche Banken empfehlen jedenfalls, möglichst früh das Gespräch zu suchen: „Noch bevor ein Kunde in Zahlungsschwierigkeiten gerät, ist es wichtig, mit uns in Kontakt zu treten, umso früher können wir individuelle Lösungen zur Unterstützung anbieten“, betont stellvertretend für andere die BAWAG P.S.K. Was konkret möglich ist – eine weitere Stundung, eine Verlängerung der Laufzeit bei geringeren Monatsraten, Umschuldung etc. –, ist da wie dort Vereinbarungssache.

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„Sowohl Verbraucher als auch Unternehmen in Schwierigkeiten sollten spätestens jetzt das Gespräch mit den Banken suchen“, meint auch Rechtsanwalt Taudes, warnt allerdings: „Aber keineswegs sollte man vorschnell eine Vertragsänderung unterschreiben, ohne sie näher zu prüfen“. Denn ganz besonders bei Unternehmen sei zu be- fürchten, dass die Bank die eine oder andere für sie vorteilhafte neue Rege- lung hineinreklamiert, die man auf den ersten Blick leicht übersehen kann.

Auch gute Vorbereitung macht sich bezahlt: „Privatkunden empfehlen wir, auf Basis aktueller Einkommensnach- weise eine Haushaltsrechnung zu er- stellen. Kleinstunternehmen raten wir, aktuelle wirtschaftliche Unterlagen zu erstellen – inklusive einer Prognose- rechnung“, empfiehlt RLB Niederösterreich-Wien-Vorstand Hauer. G

 

Keine Angst vor Kündigung

 

Wie schnell ist überhaupt zu befürchten, dass ein Kredit von der Bank aufgekündigt, sprich fällig gestellt wird? – Arbeitslosigkeit allei- ne ist als Grund zu wenig, wegen Zahlungsverzugs ist eine Kündigung aber natürlich sehr wohl möglich. „In aller Regel wird in den Verträgen oder AGB der Banken ein Recht der Bank festgelegt, wonach sie bei Nichtzahlung eines Teilbetrags den Kredit ganz fällig stellen kann, der sogenannte Terminsverlust“, erklärt Gelbmann.

Das 2. Covid-19-Justizbegleitge- setz hat jedoch eine besondere Schutzbestimmung eingezogen: Bis zum Ablauf der Stundung darf der Kreditgeber auch in diesem Fall nicht gekündigt werden.

Konkret gilt das Kündigungsver- bot bis zum Ablauf der Stundungsfrist für die letzte gestundete Rate. Wurde einem Kreditnehmer also auch noch die Rate vom Jänner 2021 gestundet, endet der Kündigungsschutz daher erst im November 2021.

Zumindest bei Verbraucherkrediten weist Gelbmann aber auch darüber hinaus auf eine Schutzregelung hin: „Der Kreditgeber kann vom Terminsverlust nur Gebrauch machen, wenn der Kreditnehmer bereits seit mindestens sechs Wochen in Verzug ist, der Kreditgeber den Terminsverlust androht und unter Setzung einer Nachfrist von mindestens zwei Wochen erfolglos gemahnt hat.“

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GEWINN 3/21

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